ZUM ABSCHNEIDEN BRANDENBURGS IN DER STUDIE "DEUTSCHLAND 2020"

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Wolf Beyer war langjähriger leitender Mitarbeiter des Referats Raumbeobachtung im Landesumweltamt Brandenburg. In seinem Kommentar bewertet er als Fachmann das gute Abschneiden Brandenburgs in der Studie "Deutschland 2020". Sein Fazit: Die Aussagen beruhen zum Teil auf veraltetem Datenmaterial, so dass alle an Berlin angrenzenden Kreise und damit das gesamte Land erheblich zu positiv bewertet wurden. Da außerdem keine Indikatorengewichtung vorgenommen wurde, konnte Brandenburg schwerwiegende Nachteile im wirtschaftlichen Bereich durch andere Bereiche (z.B. Kindergartenplätze, unverbaute Flächen) mehr als ausgleichen. Na bitte, wer sagt es denn: Brandenburg unter allen Bundesländern auf Platz 5, noch vor Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sowie vor den anderen neuen Bundesländern und den Stadtstaaten.Das ist das Ergebnis einer Studie des Berlin-Institutes für Weltbevölkerung und globale Entwicklung mit dem Titel: „Deutschland 2020: Die demographische Zukunft der Nation“. (Siehe MAZ vom 23.4.2004 und Sonderbeilage der Zeitschrift GEO, Heft 5, Mai 2004).Die Brandenburger Politiker werden es gerne hören und kräftig damit argumentieren. Das wird ihnen keiner verdenken, denn positive Nachrichten sind nicht gerade dick gesät. Doch es ist auch Vorsicht geboten. Es darf nämlich andererseits nicht zu Selbstzufriedenheit führen nach dem Motto: Ist ja alles nicht so schlimm!Es lohnt sich also, die Statistik etwas näher zu betrachten und zu untersuchen, wie denn Brandenburg zu dieser Ehre gekommen ist. Denn ehrlich gesagt, auf einem solchen Spitzenplatz konnte man unser Bundesland nicht unbedingt erwarten.Um es vorweg zu nehmen: Die Studie ist solide aufgebaut, die Ergebnisse sind ausgezeichnet aufbereitet und auch für ein Publikum außerhalb der Fachöffentlichkeit verständlich. Insofern erst einmal ein Lob an die Autoren für diese Analyse, die den Versuch macht, das demographische Problem bundesweit und kleinräumig (auf der Ebene der Kreise) zu beschreiben. Die kartographischen Darstellungen auf Kreisbasis offenbaren auch gleich einen Nachteil des Brandenburger Zuschnittes in Form von Tortenstücken. Es entsteht der Eindruck, dass bestimmte positive Entwicklungen, etwa die Wanderungsgewinne, die prognostizierten Bevölkerungszuwächse oder der Wohnungsbau, ausgehend von der Berliner Stadtgrenze bis zur Elbe und Oder reichen würden. Tatsächlich sind sie aber auf das Umland von Berlin beschränkt, und die Peripherie der an Berlin angrenzenden Kreise hat ähnliche Entwicklungstendenzen wie die Berlin fernen Kreise (Uckermark, Prignitz, Elbe-Elster...). Insofern wäre es sinnvoll, die an Berlin grenzenden Kreise in zwei Teile aufzuteilen, was von der Datenlage prinzipiell möglich wäre, allerdings mit höherem Aufwand verbunden ist.Hinsichtlich des Indikators Bevölkerungsprognose 2020 sind alle neuen Bundesländer generell zu positiv bewertet, da hierbei die Prognose des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) verwendet wurde. Die Basis dieser Prognose war das Jahr 1999. Zu diesem Zeitpunkt hat das BBR bestimmte Trendveränderungen nicht vorher gesehen, so dass in den Jahren danach erhebliche Abweichungen der Prognoseergebnisse zur tatsächlichen Entwicklung eingetreten sind. Für das Land Brandenburg betrifft das insbesondere die Wanderungsgewinne aus der Hauptstadt Berlin, die 1998 mit 28.500 Personen ihren Höhepunkt erreicht hatten, seitdem drastisch gesunken sind und gegenwärtig nur noch etwa ein Drittel davon betragen. Die hohen Werte von 1998/99 sind aber vom BBR über den gesamten Prognosezeitraum fortgeschrieben worden, so dass alle an Berlin angrenzenden Kreise und damit das gesamte Land erheblich zu positiv bewertet wurden. Die gemeinsame Prognose des Referates Raumbeobachtung im Landesumweltamt Brandenburg und des Landesbetriebes für Datenverarbeitung und Statistik dürfte wesentlich realistischere Annahmen zugrunde gelegt haben. Sie kommt für das Jahr 2020 zu einer Bevölkerungsgröße, die immerhin um 400.000 Personen unter der BBR-Prognose liegt. Das bedeutet einen Rückgang um etwa 7 Prozent, während das BBR einen Zuwachs um etwa 8 Prozent berechnet hat. (Die Landesprognosen der übrigen neuen Bundesländer liegen übrigens in ähnlichen Größenordungen unter den Ergebnissen der BBR-Prognose, z.B. Sachsen 550.000 Personen, Sachsen-Anhalt 400.000 Personen, Mecklenburg-Vorpommern 200.000 Personen).Allerdings darf man die Wirkung auf das Ranking insgesamt auch nicht überschätzen. Brandenburg würde bei dem Indikator Bevölkerungsprognose etwa eine Note schlechter liegen, was sich auf die zusammen gefasste Note nur geringfügig auswirken würde.Auffällig positiv ist Brandenburg bei dem Indikator Gestaltungsquote bewertet. Mit 1,9 wird der mit Abstand beste Wert aller Bundesländer erreicht. Der Indikator beschreibt das Verhältnis von Schulden zu Steuern und steuerähnlichen Einnahmen der Kommunen. Es erscheint auf den ersten Blick nicht sehr plausibel, warum gerade Brandenburg günstiger als die wirtschaftsstarken südlichen Bundesländer abschneiden soll, selbst wenn bei den steuerähnlichen Einnahmen bestimmte Transferzahlungen berücksichtigt worden sind.Betrachtet man die weiteren Indikatoren, wird klar, dass Brandenburg bei der getroffenen Auswahl von mehreren Faktoren profitiert:Die Lagegunst zu Berlin führt zu guten Noten bei der Wanderung, dem Wohnungsbau, der Erwerbstätigkeit und bei der Bevölkerungsprognose.Als neues Bundesland hat Brandenburg eine traditionell gute Versorgung mit Kindergartenplätzen.Als großes Flächenland schneidet Brandenburg bei dem Indikator Freifläche weitaus am besten von allen Bundesländern ab.Andererseits liegt Brandenburg bei einigen entscheidenden Indikatoren eher im letzten Drittel der Werteskala. Das betrifft zum Beispiel die Kaufkraft (5,2), das Bruttoinlandsprodukt (4,6), Ausbildungsplätze (5,3 = schlechtester Wert aller Bundesländer). Eine Gewichtung einzelnen Indikatoren wurde nicht vorgenommen, was allerdings auch ein sehr schwieriges Unterfangen gewesen wäre. Insofern konnte Brandenburg schwerwiegende Nachteile im wirtschaftlichen Bereich durch andere Bereiche mehr als ausgleichen. Fazit: Bei dem gewählten Untersuchungsansatz schneidet das Land Brandenburg unerwartet gut ab. Die Stärken und Schwächen werden sichtbar. Die Stärken sollten weiter ausgebaut werden, den Schwächen künftig mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.Wolf Beyer