AKTUELLER STAND DER KLIMAFOLGENFORSCHUNG FÜR DEUTSCHLAND: WELCHE ANFORDERUNGEN KOMMEN AUF KÜNFTIGE WOHNGEBÄUDE ZU?

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Nicht nur in der Region Berlin-Brandenburg wird wärmer, trockener und die Wetterkapriolen nehmen zu. Wohnhäuser müssen rechtzeitig auf die hierdurch zunehmenden Belastungen vorbereitet werden. Dr. Manfred Stock, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), stellte in der Tagung der BBA „Energieeffizienz im Wohnungsbestand“ am 5. November 2003 die aktuelle Klimastudie vor.Aktuelle Erinnerungen an extreme WetterereignisseDer in ganz Westeuropa extrem heiße Sommer 2003 könnte ein Modell dafür sein, was uns zukünftig als Durchschnittssommer regelmäßig erwarten könnte. Wir erinnern uns in Deutschland an Bilder von verdorrten Feldern und Niedrigwasser in Flüssen, aber auch an über 10.000 Hitzetote in Frankreich allein im August 2003. Nur ein Jahr länger liegt die verheerenden Hochwasser an Elbe, Mulde und Donau des Sommers 2002 zurück, die ein anderes Wetterextrem vor Augen führten. Womit man zukünftig in Deutschland rechnen sollte, wird derzeit am PIK erforscht. Zu den Klimaperspektiven für Berlin und Brandenburg legte das Institut kürzlich eine aktuelle Studie vor (siehe Ende dieses Textes).Klima, Klimaänderung und WetterHäufig wird unter dem Begriff ‚Klima’ lediglich das langfristig Beständige am wechselhaften Wetter, abgeleitet aus den gemittelten meteorologischen Parametern einer Region, verstanden. Tatsächlich ist das Wetter aber nur ein momentaner chaotischer Zustand der Atmosphäre, der sich erst aus dem herrschenden Klima ergibt. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Auffassung ist das Klima also ein Zustand des nichtlinearen Systems Erde, der sich aus der Sonneneinstrahlung, Atmosphäre, ozeanischen Strömungen und weiteren Komponenten zusammensetzt. Dieser Zustand hat sich im Verlauf der Erdgeschichte häufig verändert und befindet sich derzeit wieder am Anfang eines neuen globalen Wandels, an dem auch die Menschheit ursächlich beteiligt ist. Eine Konsequenz dieses Klimawandels ist, dass unsere, an charakteristische regionale Wettererscheinungen angepassten Normen teilweise nachgebessert werden müssen. Dies betrifft u.a. den Energie- und Heizbedarf, die Sturm- und Schneelast, die Wasserver- und -entsorgung oder diverse Versicherungsrisiken.Der Globale Klimawandel: von der Vergangenheit zur ZukunftDas Klima vergangener Epochen der Erdgeschichte lässt sich aus Sedimenten, Eisbohrkernen und anderem Datenmaterial rekonstruieren. Die Rekonstruktion der mittleren Oberflächentemperatur der Erde für die letzten 100.000 Jahre anhand von Messungen an Eisbohrkernen zeigt, dass das Erdklima in den Eiszeiten zwischen Kalt- und Warmzeiten hin- und herpendelte. Da sich diese  Befunde mit den aus Sedimenten des subtropischen Atlantiks gewonnenen Daten decken, kann davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei offenbar um ein globales Phänomen handelt. Mit Hilfe neuartiger Klimamodelle konnten diese raschen Klimawechsel mittlerweile als Pendeln zwischen zwei instabilen Zuständen der großräumigen ozeanischen Strömungen erklärt werden. Ähnliche Schwankungen lassen sich auch einige Millionen Jahre weiter zurück verfolgen, Klimaänderungen sind also für die Erde normal. Hieraus darf jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass die Schwankungen wirkungs- oder harmlos seien, wie gleichfalls aus Sedimenten ablesbare Veränderungen des Artenspektrums erahnen lassen.Das IPCC, ein international zusammengesetztes Expertengremium zur Klimaproblematik, legte im Jahr 2001 seinen dritten Sachstandsbericht vor, der bisher bekannte Befund zur außergewöhnlich starken Erwärmung der Erde im abgelaufenen Jahrhundert erhärtet. Er erläutert die Fakten, nach denen die von Menschen freigesetzten Treibhausgase wie das CO2 einen bedeutenden Anteil an der Erderwärmung haben, und beschreibt hiermit zusammenhängende Veränderungen im Klimasystem der Erde. Zusätzlich legt die Studie mögliche zukünftige Entwicklungspfade des Klimas bis zum Jahr 2100 dar. Im Zeitraum zwischen 1990 und 2100 wird danach eine globale Erwärmung um 1,4 bis 5,8 °C erwartet. Diese Spanne resultiert im Wesentlichen daraus, dass der Prognoseerstellung verschiedene Zukunftsszenarien zugrundegelegt wurden, die von unterschiedlich hohen Emissionen an Treibhausgasen und Aerosolen ausgehen (siehe http://www.ipcc.ch).Zukünftige Klimaveränderungen in Berlin-BrandenburgDie Untersuchungen zu den in einzelnen Regionen konkret zu erwartenden Folgen des Klimawandels verwenden die globalen Szenarien zum Anstieg von Temperatur und CO2-Gehalt sowie drei verschiedene Methoden zur Berechnung der regionalen Veränderungen. Globale Klimamodelle liefern neben der mittleren Temperaturentwicklung nur relativ grobe, allenfalls richtungsweisende Ergebnisse. Niederschläge, Sonnenscheindauer und andere meteorologische Parameter werden nicht genau genug erfasst. Um die konkreten Auswirkungen des Klimawandels abschätzen zu können, sind aber gerade diese Parameter mit ihrer Variabilität wichtig und werden in hoher regionaler Auflösung benötigt. Die erste Methode zur Regionalisierung der Daten verwendet statistische Verfahren zur Herunterskalierung der Ergebnisse globaler Modelle, bei der aber auch deren Fehler übertragen werden. Die zweie Methode verwendet regionale Klimamodelle, die jedoch noch einigen Entwicklungsbedarf haben, um die benötigten Anforderungen zu erfüllen. Eine dritte Methode zur Berechnung regionaler Klimaänderungen wurde am PIK entwickelt. Sie bezieht nur diejenigen, vom globalen Klimamodell berechneten großräumigen Änderungen bestimmter meteorologischer Größen einer Region ein, die im Mittel richtig wiedergegeben werden (wie z.B. die Temperatur). Langjährige Beobachtungsreihen des regionalen Klimas werden mit entsprechenden statistischen Methoden aufbereitet, sodass sie Änderungen in Form eines Szenariums wiedergeben. Konsistent hierzu werden alle relevanten meteorologischen Größen, wie Temperatur, Niederschlag, Luftfeuchte, Strahlung, Bewölkung und Windgeschwindigkeit auf Tageswertbasis ermittelt. So können vorhandene Klimamodellfehler bei der Szenarienbildung deutlich reduziert werden. Umfangreiche Testrechnungen zeigten eine gute Übereinstimmung zwischen Simulation und Beobachtung.In der oben erwähnten Brandenburgstudie wurde ein globales Szenario im mittleren Bereich der möglichen Entwicklung von Treibhausgasemissionen und Temperaturanstieg ausgewählt. Bei diesem Szenario steigt die globale mittlere Jahrestemperatur im Zeitraum von 2001 bis 2055 um 1,4 °C. Für die Region Berlin und Brandenburg errechnet man einen Anstieg um 2 °C und mehr gegenüber dem Jahresmittelwert 1951-2000 (siehe Graphiken). Kritischer hinsichtlich der Auswirkungen ist die Abnahme der Niederschläge in der Größenordnung von 100 mm im Jahr zu sehen, da unsere Region bereits heute zu den niederschlagsarmen Gegenden Deutschlands gehört. Auswirkungen des Klimawandels auf Wasserversorgung und LandschaftDer ermittelte Rückgang der Niederschläge stellt die Verstärkung eines bereits beobachteten Trends dar: Nach diesem ist schon heute ein Niederschlagsrückgang vor allem in der Wachstumsphase der Vegetation und im Sommer sowie eine jahreszeitliche Verschiebung der Niederschläge vom Sommer- ins Winterhalbjahr festzustellen. Die signifikante Abnahme der Regen- und Schneemengen, die mit  einer Zunahme der Verdunstung einhergeht, wird sich gemäß der Prognose  zunächst bis ca. 2030 fortsetzen und sich dann weiter verstärken. Dies führt zu kritischen Bedingungen für Wasser-, Land- und Forstwirtschaft. Die gleichzeitig zunehmende Sonnenscheindauer im Sommer kann zwar als positiv für den Tourismus bewertet werden; parallel hierzu müssen jedoch geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um den drohenden Folgen des Wasserverlusts für Landschaft und Gewässer zu begegnen.Der Umgang mit dem Klimawandel und seinen AuswirkungenDie Auswirkungen des Klimawandels hängen von einer Reihe von Faktoren ab, die in einer Region die sogenannte Verwundbarkeit erhöhen oder verringern können (siehe Skizze). Klimaänderungen können unterschiedliche Belastungen durch Stürme, Sturmfluten, Hochwasser, Hitzewellen, Dürreperioden u.s.w. mit sich bringen. Deren Auswirkungen hängen auch davon ab, welche Wirtschaftsstrukturen, Öko- und Sozialsysteme die Region prägen und wie empfindlich diese reagieren (Sensitivität). Die heute vorhandene regionale Verwundbarkeit oder Robustheit (Resilienz) gegenüber zukünftigen Klimaänderungen ergibt sich insofern einerseits aus den potenziellen Auswirkungen der Klimaveränderungen und andererseits aus deren Abpufferung durch den vorausschauenden Einsatz erkennbarer Anpassungspotenziale. Mit anderen Worten: Die Untersuchung möglicher Auswirkungen des Klimawandels und die Erstellung von diesbezüglichen Zukunftsprognosen sind kein reiner Selbstzweck, sondern dienen der Erkennung des heute notwendigen Handlungsbedarfs. In dessen Rahmen müssen geeignete Anpassungsmaßnahmen an unvermeidliche Klimaänderungen entwickelt und die Minderung der Triebhausgasemissionen vorangetrieben werden.Anpassung von Gebäuden, Siedlungs- und Infrastrukturen an den KlimawandelAuch für die Bau- und Wohnungswirtschaft ergeben sich Möglichkeiten zur Anpassung an die zu erwartenden, direkten und indirekten Belastungen durch den Klimawandel (siehe Tabelle). Als vergleichsweise gesichert können die Trendangaben zur Entwicklung von Temperatur, Sonnenschein, Niederschlag und Wasserverfügbarkeit angesehen werden. Eine intelligente Anpassung von Bauweise und Gebäudetechnik bereits in der Planungs- und Bauphase kann sich hier langfristig auszahlen. Demgegenüber sind die bisherigen Ergebnisse zur Zunahme der Klimavariabilität und vor allem von Extremwetterereignissen noch nicht belastbar genug. Zu diesen Punkten wird weiter intensiv geforscht.Klimatische BelastungAnpassungsmaßnahmen im BauweseVermeidung von Treibhausgasemissionen Energieeinsparung, energieerzeugende Bauweisen, Wärmedämmung, Intelligenz am BauTemperaturanstieg Hitzetolerante Bauweise, energiesparende Klimaregelungstechnik, Stadtplanung mit Kaltluftschneisenmehr SonnenscheinSolartechnik, innovative energieliefernde Fassadengestaltung, integrierte Biomassenproduktion weniger Grundwassermehr Versickerung, weniger Flächenversieglung, Einsatz von Brauchwasser, dezentrale Abwassersysteme höhere Klimavariabilitäthöhere Anforderungen an bauliche Auslegung, Ver- und Entsorgungssysteme und Leistungsreservenhäufigere und stärkere ExtremwetterereignisseRisikozonen zu Hochwasser, Sturzfluten, Sturm, Blitzeis, Hagel, Schneelast, Lawinen und Muren Anm.: Der Volltext der „Studie zur klimatischen Entwicklung im Land Brandenburg bis 2055 und deren Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, die Forst- und Landwirtschaft sowie die Ableitung erster Perspektiven, Potsdam 2003“ ist kostenlos im Internet unter http://www.pik-potsdam.de/news/brdbg_studie.html erhältlich.